Die aktuelle Buchvorstellung: Michael Kumpfmüller: Nachricht an alle
Im Archiv sind die aktuellen und auch alle vorausgegangenen Buchvorstellungen als pdf-Dokumente hinterlegt - zum Nachlesen und zum Ausdrucken. In einem Verzeichnis sind zudem die Autorinnen und Autoren der vorgestellten Bücher alphabetisch aufgeführt. __________________________________________________________
Michael Kumpfmüller Nachricht an alle
Roman
Gebunden. 384 Seiten.
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-03967-2
€ 19,95
„O mein Gott. Es hat eine Explosion gegeben. Es ist entsetzlich. Wir stürzen ab. Betet für mich. Ich liebe Euch.“ – Selden erhält diese Nachricht aus einem Himmel, der sich alles andere als heiter gibt! Per SMS! Die Absenderin: seine Tochter … Dass die mit ihren Kindern im fernen Rom lebende Anisha ein Flugzeug bestiegen hat, wusste ihr Vater nicht. Und als wenige Stunden später die Nachrichtensendungen im Fernsehen über einen Flugzeugabsturz unweit der italienischen Hauptstadt berichten, wird die fürchterliche Ahnung zur noch schrecklicheren Gewissheit! Und nun ist es an ihm, Familie und Freundeskreis Nachricht zu geben vom Tod der eigenen Tochter.
Selden ist Innenminister eines fiktiven westeuropäischen Staates. Und von jener Stunde an, da er diese letzte SMS von Anisha erhielt, begleiten Leserin und Leser von Michael Kumpfmüllers Roman „Nachricht an alle“ den Staatsmann – nehmen Anteil am politischen Tagesgeschäft wie auch an seinem Privatleben. Von Anishas Mutter ist Selden längst geschieden; schon seit geraumer Zeit ist Britta die Frau an seiner Seite – mehr schlecht als recht, denn von einem innigen Zusammenleben der beiden kann keine Rede mehr sein. Die Themen, welche die politische Tagesordnung und damit auch Seldens Terminkalender bestimmen, werden der Leserin und dem Leser alles andere als fiktiv erscheinen. Die Bedrohung durch vornehmlich islamistische Terrororganisationen scheint allgegenwärtig. Die Vorzeichen einer dramatischen Klimaänderung werden immer deutlicher erkennbar. Und die auf der Folie der Globalisierung sich abzeichnenden und nicht minder tief greifenden Veränderungen im Wirtschaftsleben stellen berufliche Ausbildung, Karriere und Bestand des Arbeitsplatzes einer immer größer werdenden Anzahl von Menschen infrage. Der Unmut oder mehr noch die Unsicherheit der Bürgerinnen und Bürger bricht sich Bahn in massiven Streiks und nächtlichen Unruhen. Einstmals ruhige Straßenzüge werden zum Austragungsort gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen verzweifelten – meist jugendlichen – Demonstranten und der Staatsmacht. Brennende Autos und Geschäfte erhellen den Nachthimmel. Als Innenminister ist es vorrangig Seldens Aufgabe, diesen gesellschaftlichen Brandherden beizukommen. Doch er muss sich nicht nur mit der Frage auseinandersetzen, wie eine Politik beschaffen sein müsste, die unter diesen Voraussetzungen Erfolg versprechende Lösungen bietet. Ränkespiele innerhalb der Regierung und der Partei erfordern ebenso seine ganze Aufmerksamkeit.
Michael Kumpfmüller gewährt aber auch Einblick in das Denken und in das Handeln derer, die in diesem Staat leben. Vorgestellt werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Seldens, dazu eine Journalistin, die mit einem Male beruflich wie auch privat eine Rolle im Leben des Innenministers zu spielen beginnt. Chorstimmen gleich kommen auch etliche Namenlose zu Wort, die das Geschehen aus ihrer Perspektive kommentieren. Die entsprechenden Kapitel sind dann auch überschrieben mit „Erster Chor“, „Zweiter Chor“ … Leserin und Leser begegnen vor allem auch jungen Leuten, die auf ihre eigene Weise versuchen, mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit umzugehen. Und dabei auch dramatische Konsequenzen ihres Handelns in Kauf nehmen: bis hin zur Gewaltanwendung – auch gegen die eigene Person! Einmal mehr wird ersichtlich: Politische und private Sphäre lassen sich eben nicht voneinander trennen, sondern durchdringen vielmehr einander.
Dem Verfasser liegt nicht daran, einen sogenannten Schlüsselroman zu präsentieren, also ein Werk, dessen Protagonisten Abbilder namhafter Zeitgenossen aus Politik und Medienwelt sind. Bezüge zum aktuellen Tagesgeschehen sind jedoch unverkennbar. Das Anliegen Michael Kumpfmüllers dürfte eher darin bestehen, uns mit den derzeitig in der Gesellschaft anzutreffenden Verunsicherungen zu konfrontieren. Diese resultieren letztlich aus der doppelten Erkenntnis, dass es uns einerseits, ganz allgemein und floskelhaft gesprochen, nach wie vor „gut“ geht – dass dieser Zustand aber andererseits alles andere als selbstverständlich und auch kein sich selbst erhaltender ist! Mit Michael Kumpfmüllers 2008 veröffentlichtem Roman wird die Politik (wieder) Thema in der deutschen Literatur. Und das ist eine gute Nachricht! Für alle …
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